Neuer Fall von Fischmehl aus der besetzten Westsahara in Deutschland?
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Dienstag kam ein Frachter im Bremer Holzhafen vermutlich mit einer neuen Ladung umstrittenem Fischmehls an.

Veröffentlicht 02. Mai 2019

Aktualisierung: Der Senat für Wirtschaft, Arbeit und Häfen von Bremen hat bestätigt, dass die Ladung der NAJA Fischmehl enthielt, welches aus "Laayoune" (der marokkanischen Bezeichnung für El Aaiun) importiert wurde.
Es wird somit immer deutlicher, dass Bremen europäische Drehscheibe für den Handel mit umstrittenem Fischmehl aus der besetzten Westsahara ist.


Am 30.04.2019 hat das Frachtschiff Naja (IMO: 9145126, Flagge: Antigua & Barbuda) mit einer mutmaßlichen Ladung Fischmehl aus der besetzten Westsahara im Bremer Holzhafen angelegt. Der Frachter hatte am 14. April im Hafen von El Aaiun, Westsahara, einen Tiefgang von 3,6m. Kurz vor seiner Abfahrt am 19. April betrug der Tiefgang jedoch 5,3m, was auf eine beträchtliche Zuladung schließen lässt. Ein kleiner Anteil dieser Fracht wurde anscheinend bei einem kurzen Zwischenhalt im Hafen von Las Palmas, Kanarische Inseln, abgeladen, wobei sich der Tiefgang auf 4,9m reduzierte. Von dort steuerte die NAJA direkt den Bremer Hafen an.

Der Import kann in eine Reihe ähnlicher Einfuhren von Fischmehl aus der besetzten Westsahara eingeordnet werden. WSRW konnte seit Januar 2017 bisher 5 Lieferungen, die über Bremen abgewickelt wurden, rekonstruieren; die letzte fand am 19. Juli 2018 mit dem Frachter Bente statt, worüber WSRW ausführlich berichtete.

Köster Marine Proteins (KMP) ist gegenwärtig der einzige Bremer Anbieter von Fischmehl aus Übersee, deswegen liegt der Verdacht nahe, dass die Firma auch für die fragliche NAJA-Lieferung verantwortlich ist. KMP gibt auf der Webseite Fischmehlimporte aus "Marokko" an. Auf zwei Anfragen seitens WSRW zum Import von Fischmehl aus der Westsahara im Fall Bente im Jahr 2018 hat KMP nie reagiert. WSRW hat heute eine neue Anfrage zum Fall NAJA an KMP gerichtet

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Der Frachter NAJA konnte am 30.04.2019 live in Bremerhaven über den Hafen-Live-Stream beobachtet werden. Download

Über den Hansakai der J. Müller AG im Bremer Holzhafen organisiert Köster Marine Protein zusammen mit einer Tochtergesellschaften der Aktiengesellschaft (J. Müller Weser) die Einfuhr und den Weitertransport von Fischmehl aus Übersee. Die 2016 gebaute Anlage liefert alle Voraussetzungen, um die Richtlinien der EU zum Transport und insb. die hohen Auflagen zur Hygienekontrolle zu erfüllen. Das Fischmehl kann in dieser Anlage nach der Einfuhr in Containern oder Bigsacks auf Schiffe, Züge oder LKW verladen werden. Auch die J. Müller AG erhielt als Eigner des Hansakais eine entsprechende Anfrage von WSRW.

Seit Juli 2018 bemühen sich European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Freiheit für die Westsahara e.V. (FfdWS) und WSRW um Aufklärung durch Anfragen bei Behörden. Bisher ist durch Daten des statistischen Landesamtes (Seeverkehrsstatistik) lediglich sicher, dass es in den Jahren 2015 bis 2018 Lieferungen aus der Westsahara gibt und diese beim Zoll als Herkunftsland Marokko gekennzeichnet wurden. Die Bundesstatistik weißt nämlich in diesen Jahren überhaupt keine Importe von Fischmehl aus der Westsahara aus.

Beim Import von Fischmehl, welches als marokkanisch eingeführt wurde, ist es vermutlich zu keiner Überprüfung der Kennzeichnung des Exportlandes gekommen, obwohl die Vereine Freiheit für die Westsahara e.V. und ECCHR die Zollbehörden auf den Verdacht der falschen Etikettierung hingewiesen haben. Eine Prüfpflicht bestand nach Angaben des Zolles im Falles des Fischmehls nicht.

Fischmehl gehört zu den Produkten, die mit einem Drittlandzollsatz von 0% importiert werden und die der Zoll nicht prüft, weil keine Zölle anfallen. Von diesen Produkten verzeichnet der Zoll 2017 und 2018 insgesamt 13 Importe aus El Aaiun in Bremen. Alle wurde als Ware aus Marokko eingeführt.Es kann sich dabei um Fischmehl handeln oder um andere Ware. Auf alle Fälle sind es Wirtschaftsgüter aus einem Konfliktgebiet.

Im Ergebnis bleibt bisher unklar, in welcher Höhe welche Waren aus der Westsahara in Deutschland eingeführt werden und ob der Zoll bisher überhaupt schon mal die Kennzeichnung bei der Einfuhr von "marokkanischen" Waren, die z.B. aus den Städten El Aaiun, Dakhla und Boujdour in der besetzten Westsahara stammen, überprüft hat. Die Bundesstatistik weißt keinen einzigen Import aus der Westsahara in den Jahren 2015 bis 2018 aus, was vermuten läßt, dass dem überhaupt nicht nachgegangen wird, obwohl bekanntlich der größte Anteil an "marokkanischen" Fischfängen aus den Gewässern der Westsahara stammt, dies selbst nach marokkanischen Angaben. So wird im Bericht des marokkanischen Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrates (Cese) 2013 von einem Anteil von 79% aus den "Südlichen Provincen" (marokkanische Bezeichnung der besetzten Gebiete) ausgegangen. Es ist also zu vermuten, dass ein Großteil der EU-Importe aus "Marokko" im Bereich der Fischereiprodukte aus der Westsahara stammt.

In die EU importiertes Fischmehl wird in „verarbeitenden Betrieben“ hergestellt, die einem Zertifizierungsverfahren der EU unterzogen werden. Die EU listet diese Betriebe öffentlich. 44% der in Marokko aufgeführten Betriebe haben ihren Sitz in der besetzten Westsahara, 10 davon in El Aauin. In einem dieser Betriebe muss das Fischmehl aus Fischen der sahrauischen Gewässer produziert worden sein. Einer von ihnen, Layounne Protein, gibt auf seiner Homepage "Koster Marine AB" (sic!) als Abnehmer von Fischmehl an. Laayoune Protein nennt auch Olvea als seinen Partner; dieses Unternehmen, das Fischöl in der Normandie importiert, ist bekannt für die Key Bay-Affäre 2017.

Die Fischbestände vor der Küste der Westsahara und deren Verarbeitung gehören nach dem Völkerrecht (Seerechtsübereinkommen) zu den natürlichen Ressourcen der Westsahara. Marokko besetzt Teile der Westsahara, der Dekolonialisierungsprozess ist nicht abgeschlossen, weswegen die Westsahara als Nicht-selbstverwaltetes Gebiet bei der UNO geführt wird. Wie vom Internationalen Gerichthof und in mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshof (C-104/16 P und weitere) festgestellt wurde, hat Marokko keine Souveränität über die Westsahara und darf die Ressourcen des Teils des Territoriums, das es unter militärischer Besetzung hält, nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Volkes der Westsahara nutzen. Die Saharawis haben durch ihre von der UNO anerkannte politische Vertretung, der Frente Polisario, nie der Entnahme der Fischbestände ihres Landes oder dem Handel mit ihren Folgeprodukten zugestimmt. Damit sind die Exporte von Fischmehl Teil der seit Jahren betriebenen Praxis Marokkos, die Fischbestände vor der Küste der besetzten Westsahara auszubeuten. Die EU beteiligt sich hieran, wenn sie Importe dieser Waren zuläßt. 

Trotz der Schlussfolgerungen des Europäischen Gerichtshofs, dass Marokko überhaupt kein Mandat zur Verwaltung der Westsahara besitzt, hat die EU kürzlich ein Fischereiabkommen mit Marokko abgeschlossen, welches ausdrücklich für die Westsahara gelten wird. EU-Schiffe, die in den Gewässern der besetzten Gebiete fischen, sind verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Fänge für lokale Verarbeitungsbetriebe auszulanden, z.B. für die Herstellung von Fischmehl. Seit Jahren subventioniert die EU die Entwicklung der marokkanischen Fischereiwirtschaft in den besetzten Gebieten im Rahmen der "sektoralen Unterstützung", die als Bestandteil des Fischereiabkommens gewährt wird. Das neu geänderte Handelsabkommen der EU mit Marokko, das den Handel mit Fischerei- und Agrarerzeugnissen regelt, wird auch für die Westsahara gelten - obwohl die Sahrauis wiederholt ihre Ablehnung dieser Regelung bekundet haben. 

Hinter dem Frachter NAJA scheint die deutsche Unternehmensgruppe R.E.S. Group aus Brunsbüttel (www.reederei-strahlmann.de) zu stehen.

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